Rückblick auf die Herbsttagung 2018

Nachsommerliche Temperaturen und Sonnenschein haben uns am 20. Oktober 2018 bei unserer Veranstaltung in Moabit begleitet. Vielen Dank an die drei Referenten

  • Martin Reiter, Staatsanwalt, Saarbrücken
  • Dr. iur. Tobias Rudolph, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und für Steuerrecht, Nürnberg, und
  • Prof. em. Dr. Hermann J. Künzel, Sprachwissenschaftler, Marburg,

die mit ihren spannenden und kurzweiligen Vorträgen nicht nur für gute Unterhaltung, sondern insbesondere für reichhaltige Fortbildung und interessante Einblicke in Themen sorgten, mit denen der praktizierende Strafverteidiger nicht täglich zu hat.

Die Teilnehmer und die Organisatoren der Veranstaltung bedanken sich auch hier ganz herzlich für die erstklassigen Vorträge.

Staatsanwalt Martin Reiter

stellte die handwerklich schlecht gemachte Sexualrechtsreform dar … aber erst, nachdem er in einem Disclaimer davor warnte, es könne nach der intensiven Auseinandersetzung mit den §§ 177, 184i und 184j StGB dazu kommen, die Freude am Umgang mit dem jeweils anderen Geschlecht zu verlieren.

Der politisch motivierte Gesetzgeber habe sich an seltenen Ausnahmefällen orientiert und in einem chaotischen Gesetzgebungs-Verfahren mißratene Regelungen geschaffen, für die es teilweise schon keine theoretisch denkbaren Fälle gibt, geschweige denn in der Praxis zur Anwendung kommen werden. Den Vorschriften sei unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine langfristige Überlebenschance zu prognostizieren.

Obiter dictum:
Staatsanwalt Reiter war zum zweiten Mal Referent bei ASS; aber auch diesmal ist er den Weisungen seines Dienstherrn nachgekommen und hat zum Leidwesen aller anwesenden Strafverteidiger keinerlei Tricks der Ermittlungsbehörde verraten. Dies wird anwaltllich versichert. 😎

 
Rechtsanwalt Tobias Rudolph

hat sich mit der für Rechtsanwälte relativ „gefährlichen“ Norm des § 356 StGB auseinander gesetzt. Die in tradierten Worten formulierte Vorschrift läßt den Rechtsanwendern reichlich Interpretationsspielraum und birgt insbesondere für Strafverteidiger beachtenswerte Risiken. Obwohl (oder gerade weil?) es sich um ein recht betagtes Gesetz handelt, gibt es an einigen Stellen folgenreiche Unsicherheiten.

Für die Fragen, ob potentielle oder konkrete Interessenkonflikte vorausgesetzt werden, wer alles „Partei“ sein kann (z.B. auch ein Staatsanwalt in seiner Funktion?) oder was ein Verteidiger bei Verfahrensabreden befürchten muß, wurden die Teilnehmer sensibiliert.

Streitig diskutiert wurde die Konstellation, die Gegenstand des noch beim BGH anhängigen Verfahren im „Oldenburger Bahnkonflikt“ (OLG Hamm, Beschl. v. 09.10.2014 – 4 Ws 227/14 / Darstellung im Burhoff Online Blog) ist: Darf sich der Rechtsanwalt über den ausdrücklich geäußerten Willen seines Mandanten hinweg setzen, weil er sicher ist, das sei für den Mandanten die bestmögliche Lösung? Besonders schwierig scheint dieser Konflikt im Zusammenhang mit Pflichtverteidigungen zu sein, wenn der Verteidiger sein Mandat nicht beenden kann, wenn er den Auftrag des Mandanten nicht ausführen möchte.

Hinweise:
Das Script des Vortrags von Dr. Rudolph ist hier veröffentlicht.
Ein Aufsatz von Dr. Gerson und Dr. Rudolph zu diesem Thema wird in Kürze im „Strafverteidiger“ veröffentlicht werden. Wir werden darüber hier in einem weiteren Blogbeitrag berichten und ggf. verlinken.

 
Professor Hermann J. Künzel
schilderte die Themen seiner Profession, der forensischen Phonetik: Sprecheridentifizierung, Spracherkennung, Sprachverbesserung, nichtsprachliche akustische Untersuchungen und – in älteren Zeiten – Tonträger-Identifizierung.

Unter anderem an den Ermittlungen gegen das RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock, wegen der Entführung von Jan Philipp Reemtsma und der Erpressung des Lebensmittelkonzerns Nestlé war Prof. Künzel beteiligt; er hat die Identität des Kaufhauserpressers „Dagobert“ aufgeklärt.

Den mit diesen „phonetischen“ Informationen ausgestatteten Teilnehmern stellte der Referent sein aktuelles Projekt vor: Die automatische Analyse des Stimmklanges für forensische Zwecke, bei der eine Software zum Einsatz kommt, die aus einer Sprechprobe Eigenschaften wie Geschlecht, Alter, Sprache oder regionale Herkunft berechnet und mit einer Datenbank vorhandener Proben abgleicht. Ähnlich wie bei registrierten Fingerabdrücken soll die Identifizierung z.B. eines Teilnehmers an einem (überwachten) Telefonats möglich sein. Aus Sicht eines Strafverteidigers eine nicht ganz unbedenkliche Technik, die auch von sensiblen Bürgerrechtlern recht skeptisch betrachtet wird.

In einem „Gimmick“ berichtete Prof. Künzel über seine Arbeit im Zusammenhang mit dem immer noch ungeklärten Verschwinden des Malaysia-Airlines-Flug 370. Er konnte anhand der aufgezeichneten Funksprüche klären, wer das Flugzeug unmittelbar vor seinem Verschwinden gesteuert hat: Der Kapitän oder der Copilot. Und er konnte feststellen, daß es keinen Anhaltspunkt für die Anwesenheit fremder Personen im Cockpit gibt.

 
Resumee:
Das waren 7,5 Stunden Fortbildung, bei es den Teilnehmern nicht eine Sekunde langweilig wurde. Trotz des herrlichen Wetters draußen hat niemand bereut, den kompletten Samstag im Seminarraum verbracht zu haben.